OARAVRAE

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OARA-VRAE

Dienstag, 27. April 2010

Staudammprojekt am Pakitzapango


Am großen Fluss Ene wohnte früher der Pakitsa (Adler), der sich ausschließlich von Menschenfleisch ernährte. An den Ufern des Flusses baute er hohe Steinwände, damit er die Menschen besser erspähen konnte, und auf den Hügeln, baute er sein Panko, sein Heim. Seitdem trägt diese Schlucht am Fluss Ene den Namen Pakitzapango, das Heim des Adlers. Als die Ashaninka, die Bewohner des Tals des Flusses Ene, den Überfällen des Adlers überdrüssig waren, bauten sie einen Menschen aus Ton, zogen ihm Kleider an, schickten ihn auf einem Floß den Fluss hinunter, und legten sich auf die Lauer. Als der Adler angriff, sprangen die Ashaninka aus ihren Verstecken und attackierten den Adler mit Pfeil und Bogen, Steinen und Lanzen. Der Adler wurde von den Ashaninka besiegt, und als er tot ins Wasser fiel, trieben seine großen Federn flussabwärts, aus denen dann alle anderen Völker am Amazonas entstanden. So weit die Schöpfungsgeschichte der Indigenen aus Sicht des Ashaninkavolkes.

Die Ashaninka sind die größte der insgesamt 65 indigenen Volksgruppen des peruanischen Regenwaldes. Aufgrund ihrer territorialen Nähe zur Hochebene der Anden pflegten sie sogar schon Kontakt und Tauschhandel mit den Inkas. Doch mindestens seit Fitzgeraldo, der Pionier der Kautschuk-Ära, die Ashaninka und die ihnen verwandten Völker der Machiguenga und Nomatsiguenga versklavte, will ihre Leidensgeschichte kein Ende nehmen. Zunächst förderte die Zentralregierung in Lima in den 60er Jahren die Emigration tausender Bewohner der unfruchtbaren Hochebene in die Regenwaldgebiete. Dadurch wurden die Ashaninka nicht nur aus ihren Territorien verdrängt. Auch der Drogenhandel etablierte sich als Haupteinnahmequelle in der Region. Die Bauern, die so genannten Colonos , verursachen so zusätzlich enorme Umweltschäden in den verbleibenden Territorien der Indigenen. Vor allem die Flüsse sind durch Chemikalien, die für die Produktion von Kokainpaste benötigt werden, stark verschmutzt. So kommt es zwischen den Ashaninka und den Colonos zu heftigen Auseinandersetzungen, die nicht selten tödlich enden.
Nun will sich die Regierung von Alan Garcia, dem Präsidenten Perus, dem großen Fluss Ene annehmen. Von einem dringen nötigen Umweltschutzprogramm für die empfindlichen Ökosysteme des Flussnetzes jedoch weit gefehlt. In Zusammenarbeit mit dem brasilianischen Präsidenten Ignacio “Lula”, sollen insgesamt sechs Mega-Staudammprojekte im peruanischen Amazonasgebiet verwirklicht werden. Mit einer Leistung von 1379 MW wäre der Staudamm bei Pakitzapango der Zweitgrößte Perus.
Ausgearbeitet wurde das Projekt zunächst in den 80er Jahren, doch aufgrund des bewaffneten Konflikts mit der maoistischen Guerillaorganisation Sendero Luminoso wurde es zunächst auf Eis gelegt. Jahrelang hatte der Staat keinen Zugang in die Region, die von der Guerilla kontrolliert wurde. Während dieses Konflikts, der sich weit über zwanzig Jahre zog, verloren auch 6000 Ashaninka ihr Leben.
Die Situation ist im Gegensatz zu den 90er Jahren wieder etwas entspannter, und 2006, auf dem letzten Gipfel der APEC (Asia Pacific Economic Cooperation), stellte Alan Garcia das Staudammprojekt am Fluss Ene vor. Nun sollte alles ganz schnell gehen. Die Regionalregierung Junins, dem Departement in dem sich der Fluss Ene befindet, betraute eine Firma mit dem Namen “Pakitsapango Energia S.A.” am 3. Dezember 2008 damit, in einer 20 monatigen Studie die Durchführbarkeit des Projekts abzuschätzen.
In der Hauptstadt der Provinz Satipo, durch dessen Mitte sich der Fluss Ene schlängelt, wurden bald die Gerüchte laut, dass die Regierung das alte Staudammprojekt am Pakitzapango wieder in Angriff nehmen will. In den Büros der regionalen Organisation der Indigenen des zentralen Dschungels Perus, ARPI, reagierte man zunächst ungläubig, dann verärgert. Laut der ILO-Konvention über Rechte indigener Völker (169, Artikel 6, Abschnitt 1a) müssen Regierungen, wann immer administrative oder gesetzgeberische Maßnahmen indigene Völker berühren können, die betreffenden Völker oder deren repräsentativen Einrichtungen konsultieren. Die Regierung hatte zu keinem Zeitpunkt mit einer der Organisationen der Ashaninka am Fluss Ene wie CARE, FARE oder ARPI Kontakt aufgenommen, und somit gegen internationales Recht verstoßen.
Pakitzapango ist für die Ashaninka das Fundament ihrer Kosmovision. Doch die Kritik der indigenen Organisationen geht weit über den spirituellen Aspekt hinaus. Das durch den 165m hohen Damm aufgestaute Wasser würde 73.000 Ha Regenwaldes unter sich begraben. Das würde das Ende für ein einzigartiges Ökosystem unserer Erde bedeuten. Ganz in der Nähe befinden sich das Naturreservat Otisha und der Nationalpark Manú, welcher von der UNESCO 1987 zum Weltnaturerbe ernannt wurde. Viele vom Aussterben bedrohte Tiere sind hier heimisch, von den von der Wissenschaft noch nicht entdeckten Arten ganz zu schweigen. Ein akutes Problem ist das Unterbrechen des Reproduktionszyklus vieler Fischarten. Der Fischbestand des etwas kleineren Flusses Apurimac speist sich fast ausschließlich aus flussaufwärts schwimmenden Fischen aus dem Ene. Deshalb regt sich auch hier bereits Widerstand. Die Organisation OARA der Ashaninka und Machiguenga des Flusses Apurimac wies darauf hin, dass ihnen somit ein wichtiger Bestanteil ihrer tägliche Ernährung verloren ginge , auf den die Indigenen dringend angewiesen sind. Doch auch die zugezogenen Colonos in der Stadt, von denen viele ihr Geld mit dem Fischfang verdienen, sind aufgebracht. Das Leben vieler indigener und Mestizenfamilien hängt von diesen Fischen ab.
Flussabwärts hätten die Leute mit dem Austrocknen ihrer Böden zu rechnen, wodurch auch die gesamte landwirtschaftliche Produktion umgestellt werden müsste. Auch die Tier- und Pflanzenwelt innerhalb und in unmittelbarer Umgebung des Flusslaufes könnte gefährdet sein. Der Fluss Ene speist sich hauptsächlich aus Wasser des Flusses Apurimac, der von den schneebedeckten Hochebenen der Anden ins tropische Tal donnert, und auf dieser Reise Unmengen an mineralischen und organischen Schwebstoffen mit sich führt, die nun am Damm zurückgehalten würden. Die konkreten Folgen für Flora und Fauna sind kaum abzuschätzen.
Doch das größte Problem für die Ashaninka am Fluss Ene ist der Verlust von 73.000 Ha ihres Territorium. Von den Überschwemmungen betroffen wären 10 indigene Gemeinden, in denen die Ashaninka mit unzähligen Dörfern vertreten sind. Man schätzt die Zahl der Indigenen, die zwecks Staudammbaus zwangsumgesiedelt werden müssten auf 10.000, wobei viele Dörfer, die keinen Kontakt zur Außenwelt haben noch nicht eingerechnet sind.
CARE, ARPI, OARA und FARE machten mobil und informierten die indigene Bevölkerung am Ene, was am Pakitzapango geplant ist, und welche Folgen das für sie hätte. Zunächst wurden einige Briefe an die Zentralregierung geschickt, in denen man im Namen der Ashaninka des Ene seinen entschiedenen Widerstand gegen die Verwirklichung des Staudammprojekts bekannt gab. Das Übergehen der betroffenen Indigenen im Entscheidungsprozess sei nicht nur gesetzeswidrig, sonder auch eine Beleidigung für die Ashaninka.
Der Widerstand der Organisationen der Indigenen und Bauern war für die Regierung abzusehen, uns so erarbeitete die Kongressabgeordnete Nidia Vilchez ein Gesetz, welches die Zwangsumsiedlung von Benachteiligten von Großprojekten legitimiert, wenn das Projekt dem Fortschritt des Landes diene und von nationalem Interesse sei.
So müssen die mit der Ausführung betrauten Unternehmen Petrobras und Paquizapango Energia nur noch darauf warten, dass das Projekt vom peruanischen Kongress zum nationalen Interesse auserkoren wird. Doch in wieweit das Projekt tatsächlich nationale Interessen befriedigt ist fragwürdig. Lula möchte, dass Peru die Energie zu 100% nach Brasilien exportiert, wobei Garcia eine Staffelung von 80%, 60% auf letztlich 40% in den nächsten zehn Jahren vorschlägt. Auf eigenem Territorium möchte Brasilien die Projekte nicht verwirklichen. Bolivien, dem Lula ähnliche Projekte vorschlug, lehnte auch ab. Zu groß seien die Negativeffekte für Natur und Bevölkerung der betroffenen Gebiete.
Das Gesetz zur Zwangsumsiedlung ist jedoch zunächst einmal so nicht auf die Ashaninka anzuwenden, da sie laut der ILO-Konvention unter besonderem Schutz internationalem Rechts stehen. Es zeigen sich jedoch Tendenzen in Regierungskreisen, das Projekt gegen jeden Widerstand durchzuboxen. Die Organisationen CARE, FARE, OARA und ARPI haben bereits bekannt gegeben, dass sie die Zwangsumsiedlung nicht akzeptieren, und ihre Territorien verteidigen werden. Das erinnert stark an das knapp 10 Monate zurückliegende “Baguazo”, wie es im Volksmund genannt wird. Die Regierung Alan Garcias verabschiedete damals umstrittene Dekrete im Kongress , welche internationalen Firmen den Zugang zu Bodenschätzen in von indigenen bewohnte Territorien vereinfacht hätten. Auch dies geschah, ohne die Indigenen oder deren Organisationen in Verhandlungen mit einzubeziehen. Die Indigenen blockierten aus Protest die Hauptstraße in der Provinz Bagua. Beim Versuch der Regierung, die Straßensperre gewaltsam zu beenden kamen etwa 40 Menschen ums Leben.